„Interkulturelle Kompetenz“ scheint sehr wichtig zu sein in Zeiten der Globalisierung und mittlerweile gehört sie als „Stärke“ bereits in jedes Bewerbungsschreiben. Doch was bedeutet eigentlich diese „Interkulturelle Kompetenz“ - speziell in Bezug zu Russland?
Bedeutet sie, dass man lernt, 100 Gramm Wodka auf Ex zu trinken, bei -30 Grad Eis zu essen oder als Frau in Absatzschuhen zu laufen. Oder dass man zumindest anfängt, die Frauen, welche sich mühelos mit 10cm hohen „Mordinstrumenten“ durch den Schnee pieksen, zu bestaunen? Vielleicht auch, bei der prachtvollen Wahl der „Miss Universität“ weniger Ironie und mehr Begeisterung zu zeigen. Aber das ist bereits Anpassung.
Akzeptanz ist wohl der erste Schritt und sie bedeutet für mich, in Russland nicht die Dinge zu erwarten, die man in Deutschland vorfindet oder auch verstehen zu lernen, dass gleiche Dinge nicht immer gleich sein müssen, sondern sehr verschieden sein können. Ponjali?
Ein einfaches Beispiel ist das Postamt. In einem Gebäude, das mit dem Schild „Post“ wirbt, erwartet man allgemeine Dienstleistungen, die Postämter gewöhnlich anbieten, vor allem anderen den Service des Briefversands. Im Normalfall gibt es diesen Service auch in russischen Postämtern, aber nicht in allen. Und diese nicht gekennzeichneten „Ausnahme-Postämter“ sind dann richtige Ausnahmen, wie die kleine Post in Wyhino gegenüber dem Einkaufszentrum Enthusiast. Sie verkaufen dort weder Umschläge, noch versenden sie Briefe. Dafür besitzen sie einen Wellensittich. Ob der meinen Brief nicht nach Deutschland fliegen kann, habe ich leider nicht gefragt. Und warum sie keine Umschläge haben, wenn sie doch Postkarten, Glückwunschkarten und wahrscheinlich auch Kalender und Luftballons verkaufen, getraute ich mich nicht zu fragen. Briefe versenden sie „gerade“ nicht, weil ihre Maschine kaputt ist, die die Quittung abstempelt, welche man bekommen würde, wenn man einen Brief aufgibt. Ich will doch aber gar keine Quittung. Egal. Dafür gibt es wenigstens Briefmarken. Und zwar ganz viele und ganz kleine. Und die wollte ich dann, hatte ich doch glücklicherweise am nächsten Kiosk noch einen einfachen weißen A4 Umschlag bekommen. Aber natürlich geht auch das mit den Briefmarken nicht so einfach in einem „Ausnahme-Postamt“. Obwohl sonst auch Briefe in diesem Postamt verschickt werden, wusste niemand, wie viele von diesen kleinen Marken auf einen Umschlag nach Deutschland mit 130 g Inhalt zu kleben sind. Diese Information einzuholen dauerte beeindruckende 5 Minuten, in denen die bereits ein wenig genervte Dame von einem Büro zum anderen lief. Fast so, wie der Wellensittich beim Wechsel seiner Position im Käfig. Den beobachtete ich derweil und fragte mich, ob es einen Unterschied zwischen deutschen und russischen Wellensittichen oder zumindest so etwas wie eine deutsche bzw. russische Sozialisation derselben gäbe. Eine wirklich annehmbare Antwort fand ich nicht, aber da kam auch schon die Postfrau und teilte mir mit, dass ein Brief nach Deutschland als „Obytschnoi Banderol“ (so was wie Normaltarif) 45 Rubel kosten würde. Nachdem ich nickte, begann die Frau nicht gerade emsig die kleinwertigen Briefmarken auf den glücklicherweise großen Umschlag zu kleben. Währenddessen fragte ich sie, ob der Brief dann mit dem Zug versandt werden würde, worauf sie andauernd wiederholte, dass es ein „Obytschnoi Banderol“ sei. Meine zwei Jahre Russland-Erfahrung (interkulturelle Kompetenz?) haben mich gelehrt, nicht sofort aufzugeben und so hakte ich nach, was denn ein Luftpostbrief kosten würde. Dabei blickte ich doch ein wenig ängstlich auf meinen ehemals sehr weißen Umschlag und seiner neuen postalischen Verzierung. Gleichgültig wurde mir erwidert, das wisse man nicht und der Wellensittich piepte unterstützend. Also doch russisch sozialisiert. Meine Frage, ob man diese Information nicht besorgen könnte, stellte ich schon etwas zögerlich und war froh, dass der Käfig nicht geöffnet war und mich ein Tresen von der Postfrau trennte. Aber…sie ging und blieb…nicht ganz so lange wie beim ersten Mal. Dann kam sie, klebte weiter und sagte schließlich „70“.
Erleichtert atmete ich auf und wartete geduldig auf das Ende des Briefmarkenkleberituals.
Plötzlich wurde es wieder freundlicher im Raum und der Wellensittich sprang munter von einer Stange zur anderen. Dann folgte jedoch etwas Unerwartetes. Das Postamt konnte doch Briefe versenden, zumindest dem Anschein nach, denn die Postfrau bot mir plötzlich diesen Service an. Trotz Erfolg blieb Unsicherheit….Bedeutet in diesem Moment „Interkulturelle Kompetenz“ zu glauben, dass der Brief wirklich abgeschickt wird oder daran zu zweifeln? Oder habe ich bereits versagt, als ich das anfängliche „Nein“ nicht akzeptieren wollte?
Ich werde noch einmal darüber schlafen, bin aber erleichtert, dass es neben der Post heutzutage den Emailtransport gibt. Auf diesem virtuellen Weg ist meine Bewerbung nämlich bereits um einiges schneller und kostengünstiger beim Empfänger eingetroffen. Nur ist der Prozess des Verschickens nicht halb so interessant wie der Besuch eines „Ausnahme-Postamts“.
1 Kommentar:
Also ich warte auf mein Päckchen aus Deutschland schon geschlagene 4 Wochen. Ob das denn so schwer sein kann, Post über eine Distanz von 2.000 km zu liefern?
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