Sonntag, 2. März 2008

Moskauer Metro – Eindrücke

Morgens 8 Uhr auf dem Weg zur U-Bahn. Schon von weitem sehe ich die Menschenströme auf ein kleines dunkles Loch zustürmen, zielstrebig, routiniert, teilnahmslos. Der Tunnel zur Metrostation. Rechts hinein, links hinaus. Wer ausschert, wird angerempelt oder gleich mitgerissen, nicht einmal bewusst. Es wird einfach so lange geschoben, bis das Hindernis verschwunden ist - für die meisten Routine. Als Neuling versuche ich, mich vorsichtig mit und durch die Menge zu bewegen. Endlich sind Treppen in Sicht. Das Geräusch der Metro wird lauter, die Masse schneller. Ich halte das Tempo, es gibt keine Alternative. Ich werde einfach geschoben. Am Kassenschalter beginnen erste Kollisionen. Die Schlange davor versperrt den Weg und die Masse drängt sich links daran vorbei und damit enger zusammen. Es gibt kaum noch Freiraum…bis zur Kante des Bahnsteiges. Doch bevor man diese erreicht, müssen noch die Sicherheitsschranken durchquert werden. Karte rein, Warten auf Grün, Schranke auf, durch. Stau. Hinter der Schranke ist kein Platz mehr. Die U-Bahn fährt ein. Die Menschen werden unruhig und beginnen zu schieben. Doch erst wenn die Bahn steht, kann die Richtung bestimmt werden. Diejenigen, die vor den Türen stehen, haben Glück. Sie müssen nicht rennen, um noch einen Sitzplatz zu bekommen. Die Bahn ist leer an der Endhaltestelle Wyhino. Ein Sitzplatz bedeutet Freiheit für Arme, Beine, ein Buch und den Blick. Das kann sehr wichtig sein auf der etwa dreißigminütigen Fahrt ins Stadtzentrum.

Ich stehe nun endlich hinter der Schranke und warte in der Masse auf die nächste Bahn. Ich bin froh, dass alle zwei Minuten eine Bahn einfährt. Ein anderer Rhythmus wäre kaum möglich. Die Bahn fährt ein, die Menge wird dichter, man drängt von hinten, von der Seite. Ich sehe, wie die Leute durch die Türen geschoben werden, wie das Verhalten plötzlich grober wird, die Leute für einen Moment egoistisch werden, weil sie sonst keine Chance haben. In diesem Moment gibt es kein Gemeinschaftsgefühl mehr, hier geht es nur um das Gewinnen und Verlieren. Ich stehe sehr nah an der Kante und möchte gar nicht weiter, in die erste Reihe, auch wenn das die Chancen auf einen Sitzplatz erhöht. Ich habe sogar ein wenig Angst, vor der Dynamik, der Enge, dem Verlust der Freiheit und des Handlungsvermögens. Ich fühle mich ausgeliefert. Die Türen öffnen sich, ich habe es geschafft und stehe sicher in der Mitte der Bahn. Haltegriffe sind jetzt überflüssig, die Menge lässt keine Bewegung zu. Sogar schlafen könnte man im Stehen. Die Gesichter der Menschen sind ausdruckslos, müde. Jeden Morgen das gleiche Ritual. Für die, die aus dem Umland mit der Elektritschka (Regionalzug) angekommen sind, kann die morgendliche Fahrt zur Arbeit bis zu zwei Stunden dauern. Doch sie haben Glück im Unglück, denn an der Endhaltestelle der Metro sind die Chancen auf einen einfachen Platz recht gut. An den folgenden sieben Stationen bis zum Zentrum ist die Lage sehr viel aussichtsloser. Ich weiß nicht, ob es ein zugelassenes Maximum an Passagieren gibt, aber wenn ja, würde sich niemand daran halten. Nicht einmal das Bahnpersonal. Ich verliere mich in der Menge und merke, wie mir der wenige Raum an jeder Station weiter genommen wird. Ich versuche mir nicht vorzustellen, wie Kinder und Rentner eine solche Fahrt durchleben. Ich sehe aber auch keine. Der Moskauer weiß wahrscheinlich, was möglich und unmöglich ist. Ich bin noch im Prozess des Beobachtens und Lernens. Gehalten, gewärmt und ein wenig gepresst denke ich an Berlin und mein Fahrrad, dann schließe die Augen und warte, bis mich die Masse irgendwann wieder aus der Bahn schiebt.

1 Kommentar:

TT hat gesagt…

Das Metrofahren wirst Du noch verinnerlichen. Am Schluss wirst Du gar nicht mehr merken, dass es so voll ist, weil es schon normal geworden ist.