Ich stehe nun endlich hinter der Schranke und warte in der Masse auf die nächste Bahn. Ich bin froh, dass alle zwei Minuten eine Bahn einfährt. Ein anderer Rhythmus wäre kaum möglich. Die Bahn fährt ein, die Menge wird dichter, man drängt von hinten, von der Seite. Ich sehe, wie die Leute durch die Türen geschoben werden, wie das Verhalten plötzlich grober wird, die Leute für einen Moment egoistisch werden, weil sie sonst keine Chance haben. In diesem Moment gibt es kein Gemeinschaftsgefühl mehr, hier geht es nur um das Gewinnen und Verlieren. Ich stehe sehr nah an der Kante und möchte gar nicht weiter, in die erste Reihe, auch wenn das die Chancen auf einen Sitzplatz erhöht. Ich habe sogar ein wenig Angst, vor der Dynamik, der Enge, dem Verlust der Freiheit und des Handlungsvermögens. Ich fühle mich ausgeliefert. Die Türen öffnen sich, ich habe es geschafft und stehe sicher in der Mitte der Bahn. Haltegriffe sind jetzt überflüssig, die Menge lässt keine Bewegung zu. Sogar schlafen könnte man im Stehen. Die Gesichter der Menschen sind ausdruckslos, müde. Jeden Morgen das gleiche Ritual. Für die, die aus dem Umland mit der Elektritschka (Regionalzug) angekommen sind, kann die morgendliche Fahrt zur Arbeit bis zu zwei Stunden dauern. Doch sie haben Glück im Unglück, denn an der Endhaltestelle der Metro sind die Chancen auf einen einfachen Platz recht gut. An den folgenden sieben Stationen bis zum Zentrum ist die Lage sehr viel aussichtsloser. Ich weiß nicht, ob es ein zugelassenes Maximum an Passagieren gibt, aber wenn ja, würde sich niemand daran halten. Nicht einmal das Bahnpersonal. Ich verliere mich in der Menge und merke, wie mir der wenige Raum an jeder Station weiter genommen wird. Ich versuche mir nicht vorzustellen, wie Kinder und Rentner eine solche Fahrt durchleben. Ich sehe aber auch keine. Der Moskauer weiß wahrscheinlich, was möglich und unmöglich ist. Ich bin noch im Prozess des Beobachtens und Lernens. Gehalten, gewärmt und ein wenig gepresst denke ich an Berlin und mein Fahrrad, dann schließe die Augen und warte, bis mich die Masse irgendwann wieder aus der Bahn schiebt.
Sonntag, 2. März 2008
Moskauer Metro – Eindrücke
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1 Kommentar:
Das Metrofahren wirst Du noch verinnerlichen. Am Schluss wirst Du gar nicht mehr merken, dass es so voll ist, weil es schon normal geworden ist.
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